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Angehörige und Rückfall

Angehörige und Rückfall

Eine Herausforderung für beide Seiten

Die Menschen, die mit einem Suchtkranken leben, sind während der Krankheitsentwicklung zunehmend häufiger starken Stresssituationen ausgesetzt. So wie der Betroffene selbst, fühlen auch sie sich immer hilfloser. Sie sind hin- und hergerissen zwischen der Loyalität dem geliebten Menschen gegenüber und dem Wunsch, sich selbst zu schützen vor Entäuschungen und Vertrauensbruch. Sie versuchen zu verstehen, was passiert und entwickeln oder "erfinden" wie der Betroffene auch Erwartungen und Motivationen, warum sich die Beziehung so verändert hat und was mit dem Partner, dem Elternteil oder Familienangehörigen eigentlich passiert. Sie fragen sich, wo ihre Verantwortlichkeit liegt, ob sie (mit-)schuld sind daran, dass der Suchtkranke konsumieren „muss". Sie hoffen in Zeiten, in denen es besser geht, auf stabile Veränderung in, die „richtige" Richtung.

Suchtkranke und Angehörige gehen einen ähnlichen Weg in der Krankheitsentwicklung

Häufig übernehmen Angehörige in gut gemeinter Absicht Pflichten und Aufgaben des Betroffenen; manchmal bleibt ihnen auch nichts anderes übrig, wenn sie größeren Schaden von sich und der Familie fern halten wollen. Zwangsläufig übernehmen sie dann jedoch auch zunehmend Rechte des kranken Familienmitglieds, sodass eine negative Spirale in Gang kommt: Der Suchtkranke vernachlässigt Pflichten, nimmt Rechte nicht wahr; der Angehörige kompensiert den Ausfall und übernimmt Aufgaben und damit auch Rechte, die ihn nach außen hin später oft als überverantwortlich, co-abhängig bis grenzüberschreitend erscheinen lassen. Tatsächlich ist es häufig der Fall, dass der Angehörige sich immer stärker belastet, unter dem Druck von Verantwortung und Zuständigkeit über seine Grenzen geht und selbst in hohem Risiko lebt, krank zu werden an Körper und Seele.

Wege aus der Abhängigkeitsfalle: eine Herausforderung für den Suchtkranken und Angehörigen gleichermaßen

Wenn der Suchtkranke abstinent wird - mit mehr oder weniger Unterstützung durch andere -, ändert sich im sozialen System vieles. Beziehungen und der Umgang miteinander werden neu ausgehandelt und ausprobiert. Der Suchtkranke wird in der Therapie und der Selbsthilfegruppe darin unterstützt, sein Leben wieder aktiv zu gestalten und seine Rolle in Familie und Umfeld wieder auszufüllen. Dabei sprechen wir manchmal von einem "gesunden Egoismus", der es dem Suchtkranken ermöglicht, mehr auf die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu achten.

r die Angehörigen ist dies oft eine sehr schwierige Zeit. Häufig haben sie nicht die Unterstützung durch eine Beratung oder Behandlung für die Veränderungen in ihrem Leben durch die Abstinenz des Suchtkranken.

Eine eigene Selbsthilfegruppe für Angehörige kann gerade in dieser kritischen Umstellungszeit dem Angehörigen helfen, auch die eigene Rolle zu überdenken, sich Entlastung und Unterstützung gleichermaßen zu holen und eigene Bedürfnisse und Wünsche wieder angemessen zu berücksichtigen. Manchmal gelingt es Lebenspartnern auch, diesen Veränderungsprozess gemeinsam zu gestalten.

Die Kapitulation des Angehörigen: "Ich bin weder für die Krankheit noch für den Rückfall verantwortlich"

r den Angehörigen ist ein möglicher Rückfall mindestens so bedrohlich wie für den Abhängigkeitskranken selbst. Während letzterer der Handelnde bleibt, auch in schwierigen Situationen noch Entscheidungen treffen kann, steht der Angehörige dem Rückfallgeschehen hilfloser gegenüber. Er ist mehr oder weniger Beobachter und gerade dann, wenn er dem Suchtkranken wieder seine Entscheidungen überlässt - also selbst auf dem Weg in eine ausgeglichene Beziehungsgestaltung ist -, wird er manchmal vielleicht eher oder klarer als der Betroffene selbst eine beginnende ungünstige Entwicklung sehen können.

So wie es dem Suchtkranken möglicherweise zunächst schwer fällt, wieder mehr Kontrolle über sich selbst und sein Leben zu erlangen und auszuhalten, stellt sich die Aufgabe für den Angehörigen darin, Kontrolle wieder abzugeben und geschehen zu lassen und auszuhalten.

Das kann eine Gratwanderung sein: Der Angehörige muss sich immer wieder entscheiden, was er aushalten kann und will und wann er für sich Entscheidungen treffen muss, um nicht wieder in der Abhängigkeit vom Suchtkranken und seinem "Spiel" gefangen zu sein.

Beim Rückfall fragt sich mancher Angehörige: Was habe ich falsch gemacht? Hätte ich den Rückfall verhindern können oder gar müssen? Aber auch: Wie kann es jetzt weiter gehen?

r alle diese und die vielen anderen Fragen und Zweifel braucht auch der Angehörige eine Anlaufstelle und Unterstützung. Ziel kann es nicht sein, dass der Angehörige zur "Rückfallversicherung" für den Suchtkranken wird. Vielmehr kann der Angehörige - von Schuld und übermäßiger Verantwortung für den Suchtkranken befreit - seine Rolle in einer gesunden Beziehungsgestaltung übernehmen und damit zu einem stabilisierenden Element auch für den Suchtkranken in der persönlichen Weiterentwicklung werden.

Marianne Frilling in „Weggefährte 1/03“

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