Der neue Versuch in Peru ging anfänglich gut. Ich war begeistert von der spanischen Sprache und dem dortigen Lebensstil. Auch lernte ich einen liebenswürdigen Mann kennen; gemeinsam schmiedeten wir große Pläne. Trotz dem gefundenen Glück holten mich eines Tages die alten Haltungen und Ängste wieder ein und überschatteten erneut mein Dasein. Ich griff wieder zur Droge. Bald darauf war ich in illegale Geschäfte verwickelt. Ich verstand mich selbst nicht mehr!
Nach etwa einem Jahr blieb mir nichts anderes übrig, als fluchtartig Peru Richtung Schweiz zu verlassen. Am 24. Dezember landete ich in Kloten. Mein erster Weg in Zürich führte zum Platzspitz, dem damaligen Drogenpark. Obwohl hier «quasi mein Zuhause» war, schockierte mich die Gewalt und Brutalität, die mir dort begegneten. Noch etwas Ungewohntes erlebte ich an jenem Heiligabend im Platzspitz. Einige Christen erzählten von der Liebe Gottes. Leider drang die gehörte Botschaft nicht zu mir durch.
Zum dritten Mal begann ich das Methadon-Programm. Seelisch und körperlich ging es bergab, und eines Tages wurde ich notfallmässig ins Spital eingeliefert. Der Arzt teilte mir mit, dass ich in diesem Zustand keine weiteren drei Monate überleben würde. Trotz Methadon, trotz Heiratsplänen, trotz aller guten Vorsätze hatte ich es nicht geschafft. Vor mir stand das Ende.
In dieser Situation schrie ich zu Gott; ich wollte sterben Er aber hatte andere Pläne.
Kurze Zeit späte bot mir ein Ehepaar - Christen im biblischen Sinn - ein Zimmer in ihrem Hause an. Sie brachten mir sehr viel Liebe und Verständnis entgegen, setzten aber auch klare Richtlinien. Die Atmosphäre der Liebe und des Friedens in diesem Haus konnte ich nur schwer aushalten, darum lebte ich die meiste Zeit auf der Gasse. Eines Tages tolerierten sie diesen Zustand nicht mehr. Sie forderten mich auf zu gehen, oder mich verändern zu lassen. Grosse Kämpfe tobten in mir. Noch am gleichen Abend sah ich den Film über Jesus Christus: «Der Mann, der in kein Schema passt». Während ich die Szene der Kreuzigung Jesu verfolgte, bewirkte Gott etwas Unerwartetes: Ich wusste plötzlich in meinem Innern, dass Jesus Christus wirklich Realität ist, dass er stellvertretend für meine und unser aller - Schuld gestorben ist. Ich verstand, dass er lebt und der Weg zu einem neuen Leben ohne Drogen ist. Ich war überzeugt, dass meine Hoffnung diesmal keiner Seifenblase gleicht. Voller Zuversicht und unter Tränen betete ich in jener Nacht:
„Jesus Christus, vergib mir alle Schuld. Du sollst von nun an mein Herr sein. Dir vertraue ich allein. Dir schenke ich mein Herz. Danke, dass ich mit dir ein neues Leben beginnen kann.“
Als ich am nächsten Tag zum Platzspitz kam, wollte mir ein Kollege Heroin schenken. So etwas war mir noch nie passiert. Wie gelähmt saß ich auf dem Rondell und konnte den offerierten Stoff nicht anfassen. Während drei Stunden fesselte mich nur eines: Der Gedanke, dass Jesus Christus lebt, und es für mich - und für jeden Fixer - einen Weg aus der Drogenhölle gibt. Ein unbeschreiblicher Friede erfüllte mich. In der darauf folgenden Nacht konnte ich seit langem wieder ruhig und geborgen schlafen, ohne Horror und Angstzustände. Gott hatte mir an diesem Tag einen ersten Schritt in die Freiheit ermöglicht.
Mir war bewusst, dass damit noch nicht alles in Ordnung war. Meine Vergangenheit hatte mich geprägt: Da waren viele Probleme und Verletzungen. Eigentlich war mir klar, dass ich mir durch Christen in einem Rehabilitationszentrum helfen lassen sollte, doch meine Gefühle wehrten sich dagegen; dieser Weg erschien zu mühsam und zu langsam. Nochmals versuchte ich, mein Leben selbst in die Hände zunehmen - ich und Jesus würden es sicherlich schaffen. Diese Illusion war bald zerschlagen. Das Resultat dieser Selbsthilfeaktion war tiefe Verzweiflung und der Versuch, mir durch eine Überdosis das Leben zu nehmen. Jesus Christus ließ mich nicht sterben! Liebevoll zeigte er mir, dass ich ihn mit diesem eigenwilligen Handeln nochmals ans Kreuz genagelt hatte. Dieses Erlebnis erschütterte mich zutiefst und verlieh mir die nötige Kraft, mich endgültig von den Drogen loszusagen. Nun war ich bereit, Gottes Wege zu gehen und die Rehabilitations-Therapie zu machen.
Im Haus «Kephas» durfte ich falsche Haltungen ablegen und erleben, wie Verletzungen langsam heilten. Anhand eines Beispieles möchte ich diesen Vorgang illustrieren:
Während einer Ferienzeit auf einem Campingplatz flippte ich eines Tages aus. Ängste, Schuld- und Schamgefühle trieben mich beinahe zum Wahnsinn. Allein weil ich wusste, dass niemand vor Gott fliehen kann und weil das betreuende Team mir Verständnis und Anteilnahme entgegenbrachte, rannte ich nicht davon.
Während sie versuchten, mit mir zu reden, erinnerte ich mich plötzlich an eine Szene in meiner Kindheit: Ich war auf einem ähnlichen Campingplatz und wurde von einem Mann bedroht und sexuell belästigt. Ich erkannte die Zusammenhänge zwischen diesem damaligen Geschehen und meinen horrorartigen Angstzustände. Durch Gebete und Gespräche beruhigte sich meine Gefühlswelt, und ich erlebte, was Gott im Johannesevangelium verspricht (Kapitel 8, Vers 32): «Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.» Ich musste Schmerz, Wut und Ohnmacht zulassen und an Jesus Christus abgeben und den Menschen vergeben. Ich lernte, dass Vergebung nicht ein Gefühl, sondern eine Willensentscheidung ist.
Ich bin dankbar, dass ich solche Dinge in der geschützten Umgebung der Therapie aufarbeiten konnte. Gott führte mich gute Wege.
Meine falschen Vorstellungen in Bezug auf Rehabilitationszentren sind korrigiert. Anstelle von Gesetzen, Regeln und Vorschriften fand ich Geborgenheit und Zuwendung in einem familienähnlichen Rahmen. In dieser Atmosphäre durfte ich mich entfalten und heil werden. Mit grosser Freude darf ich heute bezeugen: «Gott hat mich völlig wiederhergestellt.»
Nach Beendigung der Therapiezeit arbeitete ich in einem Altersheim. Ich konnte dort mit Medikamenten, Spritzen usw. umgehen, ohne jedes Verlangen nach erneuter Betäubung. Durch mein Erleben verstand ich das Verhalten vieler Patienten besser.
Seit einem Jahr bin ich Mitarbeiterin im Haus «Kephas» und versuche aus dem persönlich Erlebten, anderen zu helfen. Anfänglich war es nicht leicht, mich zurückzustellen, um jederzeit für die Therapie-Teilnehmer verfügbar zu sein. Auch habe ich verstanden, dass gute Ratschläge nicht ausreichen, sondern dass das tägliche Vorleben entscheidend ist. Ich bin - wie wir alle in allen Lebensphasen von der Liebe und Güte Gottes abhängig. Er ist es, der die Menschen frei macht und heilt. Für Gott und Menschen in dieser Weise leben und arbeiten zu dürfen, macht mich froh und gibt mir Sinn und Erfüllung in meinem Leben.
Erlebnisbericht von Esther Grosjean, CH-Wollerau
aus geschäftsmann und christ, Nr. 7/8 1994 --- www.ivcg.org
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